Wird die Energiewende zu einem Anstieg der Energiepreise führen?

Ja, sehr wahrscheinlich, v. a. beim Strom! Die Energiewende sollte aus zwei Hauptgründen einen Anstieg der Energiepreise nach sich ziehen: Der steigende Anteil der erneuerbaren Energieträger am Energiemix und ein zu erwartender Preisanstieg für CO2-Emissionen, der die fossilen Energieträger verteuern wird. Es kann aber nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass dieser Anstieg grösser ist als jener, der ohne Energiewende eintreten würde. Ausserdem könnte die erwartete Senkung der Nachfrage nach Erdölprodukten eine Senkung ihrer Preise nach sich ziehen.

Die durchschnittlichen Produktionskosten der erneuerbaren Energien sind nach wie vor höher als jene der fossilen Energieträger (Erdölprodukte, Erdgas, Kohle) [→ F64]. Gegenwärtig beruht ihr Ausbau im Wesentlichen auf Subventionen – insbesondere dem System der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) [→ F79] – oder auf Vorschriften – wie z. B. in gewissen Kantonen, die vorschreiben, dass ein bestimmter Anteil der Brauchwarmwassererwärmung in neuen Gebäuden durch erneuerbare Energien abgedeckt werden muss.

Folglich werden die Durchschnittskosten einer kWh mit dem Anteil der erneuerbaren Energien in unserem Energiemix steigen, insbesondere für den Strom und die Treibstoffe und in einem geringeren Mass für die Brennstoffe. Der technologische Fortschritt und die Marktreife der erneuerbaren Energien sollten Preissenkungen nach sich ziehen, was aber wahrscheinlich nicht genügen wird, um den Anstieg der durchschnittlichen Energiepreise zu kompensieren.

Parallel dazu ist davon auszugehen, dass fossile Produkte in den nächsten Jahrzehnten zunehmend besteuert werden, insbesondere mittels einer Erhöhung des Preises für CO2-Emissionen [→ F83]. Fossile Brennstoffe (Erdgas, Heizöl) unterliegen bereits solchen Steuern und diese könnten stark angehoben werden. Sie könnten auf fossile Treibstoffe (Benzin, Diesel) ausgedehnt werden, und zwar im Rahmen der zukünftigen Ökosteuer (die in einigen Jahren eingeführt wird), in Abhängigkeit von den Zielen, die sich die Schweiz in Bezug auf die Reduzierung der CO2-Emissionen setzt. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Preise für Emissionsberechtigungen des europäischen ETS (European Trading System) deutlich ansteigen, falls die EU wirklich ihr Ziel einer 43%igen Reduktion der Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 (im Vergleich zu 2005) erreichen will [→ F90]. Das würde bewirken, dass u. a. der Preis für Strom aus Kohle und Erdgas an den europäischen Strombörsen stark ansteigt. Der 2019 von der EU-Kommission kürzlich vorgeschlagene europäische Green Deal zielt auf eine Verringerung der Treibhausgase bis 2030 um 50 bis 55 % ab. Das langfristige Ziel ist, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.

Ausserdem werden die Kosten für die Stromübertragung ebenfalls ansteigen, weil es bedeutender Investitionen bedarf, um das Netz an die Ansprüche unseres zukünftigen Energiesystems anzupassen [→ F67] et [→ F68]. Diese Kosten werden dann auf den von den Verbrauchern bezahlten Strompreis umgewälzt werden.

Wie steht es mit der Liberalisierung des Strommarktes, die in der Schweiz ab 2018 umgesetzt werden könnte? Grundsätzlich sollte sich die derzeitige Situation dadurch nicht gross ändern. Die Grossverbraucher (Industriebetriebe) kommen bereits in den Genuss des freien Marktes und haben von bedeutenden Senkungen ihrer Stromrechnungen profitieren können. In Bezug auf die Auswirkungen auf die Kleinverbraucher (Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen) hat die Liberalisierung, die in verschiedenen europäischen Ländern bereits seit einigen Jahren im Gange ist, gezeigt, dass dadurch die Durchschnittspreise des Stroms nicht gesunken sind – im Gegenteil.

Vorläufig werden die Energiepreise also – potenziell deutlich – steigen, insbesondere der Strompreis. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass unser Verbrauch dank der ständigen Verbesserung der Energieeffizienz zurückgeht. Die Internationale Energieagentur erwähnt die Möglichkeit, dass eine verringerte Nachfrage nach Erdölprodukten zu einer Senkung ihres Preises führen könnte – gemäss dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die Auswirkung auf die Energierechnung von Unternehmen und Haushalten bleibt also schwierig vorherzusagen. Im Prinzip wird vermehrt das Verursacherprinzip angewendet werden, was diejenigen, die weiterhin fossile Energieträger konsumieren, stärker benachteiligen sollte.

Schliesslich werden die Produktionskosten für Strom aus erneuerbaren Quellen, insbesondere der Photovoltaik, weiter sinken und immer weiter unter den Strompreis fallen, den die Haushalte bezahlen. Das wird die Endverbraucher zur Installation von Solarmodulen auf ihrem Dach anreizen, um ihren eigenen Strom zu produzieren und zu verbrauchen und somit ihre Energiekosten zu senken.

Allerdings müssen diese Argumente in die richtige Relation gesetzt werden, indem man sich die Frage stellt, wie sich die Energiepreise ohne Energiewende entwickeln würden. Da unsere Kernkraftwerke sowieso früher oder später durch andere Kraftwerke ersetzt würden, ist wahrscheinlich, dass deren Kosten dann ebenfalls höher sein könnten als sie es heute sind. Die Erfahrungen mehrerer Länder weisen darauf hin, dass der in neuen Kernkraftwerken produzierte Strom ohne hin deutlich teurer wäre als der heutige Atomstrom.

Quellen

European Commission (2019)
(). EU emissions trading system (EU ETS). [Online]. Available at: https://ec.europa.eu/clima/policies/ets_en.
European Commission (2019)
(). The 2020 climate and energy package. [Online]. Available at: https://ec.europa.eu/clima/policies/strategies/2020_en.
European Commission (2019)
(). COMMUNICATION FROM THE COMMISSION TO THE EUROPEAN PARLIAMENT, THE EUROPEAN COUNCIL, THE COUNCIL, THE EUROPEAN ECONOMIC AND SOCIAL COMMITTEE AND THE COMMITTEE OF THE REGIONSThe European Green Deal.
European Commission (2014)
(). EU gears up for 2030 with more emissions reductions (Press release).
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