Warum ist der Ausbau der neuen erneuerbaren Energien in der Schweiz so komplex?

Die erneuerbaren Energien sind mit einer gewissen Anzahl an Hindernissen konfrontiert, die ihre grossflächige Verbreitung bremsen: Vorbehalte der Öffentlichkeit, mangelnde Fachkräfte für die Sicherstellung ihrer Realisierung, hohe Investitionskosten, Widerstand gegen Veränderungen, der aus der Trägheit des bestehenden Energiesystems resultiert.

Die Vorbehalte der Öffentlichkeit bezüglich der Realisierung der erneuerbaren Energien sind ein bedeutender Faktor für die begrenzte grossflächige Einführung in der Schweiz. Da die erneuerbaren Energien sehr dezentralisiert sind, erwecken sie Befürchtungen bezüglich negativer Auswirkungen. Nicht ohne Grund: Die Geothermie kann Mikro-Erdbeben auslösen, Biomasse kann unangenehme Gerüche emittieren, Wind- und Wasserkraftwerke haben bedeutende Auswirkungen auf die Landschaft usw. Im Prinzip sind die Schweizerinnen und Schweizer den erneuerbaren Energien im Allgemeinen sehr wohlgesinnt. Aber wenn sich ein Projekt in ihrer Nähe konkretisiert, sieht es oft anders aus.

Es muss eingeräumt werden, dass die Promotoren gewisser Projekte Planungs- und Kommunikationsfehler begangen haben und damit in gewissen Regionen heftigen Widerstand ausgelöst haben, insbesondere gegen Windenergie. Der Umsetzungsgrad im Windbereich liegt derzeit immer noch bei unter 10% der Projekte, die vom Bund einen positiven Bescheid für die Teilnahme am KEV-Unterstützungsprogramm (siehe unten) erhalten haben. Für die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung braucht es faire Schlichtungslösungen, transparente und partizipative Verfahren sowie offene und umfassende Kommunikation von Seiten der Projektbetreiber.

Die Entwicklung der neuen erneuerbaren Energien bedingt die Installation und Wartung von Millionen komplexer technischer Einrichtungen durch Fachkräfte, was eine gute Kenntnis der geltenden Bestimmungen (Wärmepumpen, Solaranlagen, elektronische Regelung der Heizungen, Pelletsöfen usw.) notwendig macht. Von genau diesen Arbeitskräften gibt es aber in der Schweiz viel zu wenige: Im Jahr 2013 fehlten insbesondere fast 14'000 Ingenieure und technische Fachkräfte. Diese Situation muss rasch behoben werden, insbesondere durch die Stärkung passender Ausbildungszweige. Passiert das nicht, so wird der Ausbau der neuen erneuerbaren Energien massiv gebremst werden. Darüber hinaus werden die von uns importierten Systeme teuer und nicht konkurrenzfähig bleiben, weil die Importeure und Verteiler nicht über das für ihre kritische Beurteilung notwendige Urteilsvermögen verfügen (so haben z. B. die auf dem Schweizer Markt erhältlichen Wärmepumpen einen geringen bis mittleren Wirkungsgrad) oder werden schlecht installiert und funktionieren nicht richtig (bis zu 25% der thermischen Solaranlagen in der Schweiz funktionieren nicht oder nur schlecht).

Dazu kommt die Problematik der hohen Kosten. Die Produktion von „grünem Strom“ in der Schweiz, sei es mittels Photovoltaik, Kleinwasserkraft, Biomasse oder Windkraft, ist teurer als der Strom aus klassischen Grosskraftwerken [→ F64]. Im Prinzip kann dieses Hindernis durch das Programm der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) des Bundes zum Teil aus dem Weg geräumt werden. Dieses Programm verfügt aber nur über begrenzte Finanzmittel, was den Ausbau der erneuerbaren Technologien bremst [→ F79], v. a. auch aufgrund der langen Genehmigungsverfahren. Ausserdem sind die von der KEV angebotenen finanziellen Bedingungen weniger attraktiv als jene, die in mehreren europäischen Ländern mit einem vergleichbaren Entwicklungsstadium angeboten werden. So betrachten mehrere grosse Schweizer Stromversorgungsunternehmen es als vorteilhafter, in Wind- und Solarparks im Ausland zu investieren, anstatt in der Schweiz, auch wenn sich die meisten Unternehmen in öffentlicher Hand befinden [→ F88].

Ausserdem wird die steigende Netzeinspeisung von dezentral und unregelmässig produziertem Strom (Wind- und Solarenergie) bedeutende technische Anpassungen des Stromnetzes und die Schaffung neuer Speicherkapazitäten erfordern [→ F67] . Die herrschenden Rahmenbedingungen und die derzeit sehr niedrigen Strompreise sind heute insgesamt für solche Investitionen nicht förderlich [→ F70]. Ausserdem gibt es mehrere technische Lösungen für diese Verbesserungen: Netzausbau, Smart-Grid-Lösungen, lokale Speicherung in Batterien oder zentralisierte Speicherung durch Pumpspeicher oder sogar „Power to Gas“ [→ F69] und [→ F74]. Jede dieser Lösungen hat Vorund Nachteile, was die Optionen komplexer macht und das Treffen von Entscheidungen erschwert.

Die Produktion von Wärme ist mit erneuerbaren Energien (Wärmepumpen, thermische Solarenergie, Holzpellets) im Allgemeinen ohne Subventionen rentabel [→ F64]. Ausserdem erregt sie keine besonderen Vorbehalte. Allerdings verzögert die lange Lebensdauer der bestehenden Warmwasserbereiter und Heizsysteme (Öl- oder Gasheizkessel, Elektro-Direktheizung) den Übergang zu den Erneuerbaren. Diese Anlagen werden im Durchschnitt nur alle 15 bis 20 Jahre ersetzt. Der Austausch eines Heizkessels für fossile Brennstoffe (Heizöl oder Erdgas) oder einer elektrischen Direktheizung durch eine Holzheizung oder eine Wärmepumpe kann bedeutende Investitionen erfordern. All das erklärt, warum pro Jahr in nur 1% der bestehenden Gebäude eine Umstellung auf erneuerbare Wärme vorgenommen wird [→ F82].

Quellen

International Energy Agency (IEA) (2019)
(). Renewables information: overview.
Office fédéral de l'énergie (OFEN) (2019)
(). Schweizerische statistik der erneuerbaren energien, ausgabe 2018.
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