Müssen wir unsere Energiekennwerte neu definieren?

Die Energiewende macht es erforderlich, unsere Energieerzeugung und unseren Energieverbrauch klarer und genauer zu messen. Zusätzlich zu den traditionellen Kennwerten – wie der Energieintensität – müssen wir neue, aussagekräftigere Kennwerte, wie den „energetischen Wirkungsgrad“, die „graue Energie“ oder die „Gesamtbetriebskosten“ nutzen.

Traditionell ist einer der Hauptenergiekennwerte die Energieintensität, die die Endenergiemenge misst, die pro Einheit BIP verbraucht wird [→ F9]. Ihre Aussagekraft ist zweifelhaft. Auf den ersten Blick hat die Schweiz ihre Energieintensität in den letzten Jahren verbessert, was aber die Tatsache verschleiert, dass sich die Schweiz nach und nach deindustrialisiert. Aus diesem Grund importiert die Schweiz immer mehr Konsumgüter, die sie nicht mehr selbst produziert, die aber bei der Erzeugung und beim Transport sehr viel Energie verbrauchen (graue Energie). Es ist viel zweckmässiger, einen Kennwert zu benutzen, der diese indirekte (graue) Energie berücksichtigt.

In Bezug auf die Energieeffizienz ist die Situation noch verwirrender. So weist z. B. eine Elektro-Direktheizung eine Energieeffizienz von 100% auf, was zur Annahme verleitet, dass diese Technologie eine perfekte Energieeffizienz aufweist. In Wirklichkeit wird einfach nur der gesamte vom Heizkörper verbrauchte Strom ohne Verluste in Wärme umgewandelt. Mit einer Wärmepumpe kann man aber mit derselben Strommenge 4-mal mehr Wärme erzeugen – sie hat also eine Effizienz von 400% [→ F26].

Der Begriff der Energieeffizienz – das Verhältnis zwischen Nutzenergie (z. B. gelieferte Wärme) und verbrauchter (bzw. gekaufter) Energie – ist nur dann ein aussagekräftiger Kennwert, wenn man ähnliche Technologien vergleicht, die eine ähnliche Dienstleistung bieten: Vergleich von traditionellen Heizkesseln (ohne Kondensation) und Brennwertkesseln (mit Kondensation) oder beispielsweise verschiedenen Technologien für Photovoltaikmodule. Er ermöglicht aber keinen objektiven Vergleich von sehr unterschiedlichen Technologien oder Nutzungen: Ein solarthermischer Kollektor hat eine viermal höhere Effizienz als ein Photovoltaikmodul (60% statt 15%). Ersterer liefert aber Wärme und zweiteres Strom, was überhaupt nicht vergleichbar ist, weil eine kWh Strom viel wertvoller ist als eine kWh Wärme [→ F50].

Ein Kennwert, der es wirklich ermöglicht, verschiedene Technologien kohärent zu vergleichen, ist der „exergetische Wirkungsgrad“. Die Exergie misst die Qualität der betrachteten Energie und damit ihr Potenzial, eine bestimmte Energiedienstleistung zu erbringen. Der exergetische Wirkungsgrad ist die Beziehung zwischen der gelieferten Exergie und der eingesetzten (oder gekauften) Exergie. Der Begriff des exergetischen Wirkungsgrads ermöglicht eine wirkliche Beurteilung der Qualität eines technischen Systems oder seines Verbesserungspotenzials. Da die Exergie von Strom viel höher ist als jene von Wärme, ist somit der exergetische Wirkungsgrad eines thermischen Solarkollektors oft gleich gross oder niedriger als jener eines Photovoltaikmoduls, obwohl die Energieeffizienz des thermischen Kollektors (im traditionellen Sinn), wie oben erwähnt, viermal höher ist. Auch (Gas-, Öl- und Holz-) Heizkessel, bei denen oft auf ihre hohe Energieeffizienz (80-110%) verwiesen wird, haben nur einen mittelmässigen exergetischen Wirkungsgrad (<10%) und stellen damit keine zukunftsträchtigen Lösungen dar [→ F24]..

Die Frage der Aussagekraft von Kennwerten stellt sich auch für die Messung der Treibhausgas-emissionen, die als CO2-Äquivalente angegeben werden [→ F65]. Oft werden nur die direkten Emissionen in Zusammenhang mit der Nutzung einer Anlage bzw. eines Gerätes einberechnet. Die erneuerbaren Energien, Elektroautos und Kernkraftwerke scheinen dann plötzlich „klimaneutral“ zu sein, weil sie keine direkten Treibhausgasemissionen verursachen. Dieser Zugang ist aber ungenügend, weil er die indirekten Emissionen bei der Produktion, dem Transport, dem Abbau am Ende der Lebensdauer usw. nicht berücksichtigt. Die alleinige Messung der direkten Emissionen ermöglicht es also nicht, aus Klimasicht objektiv zwischen guten und schlechten Technologien zu unterscheiden [→ F65]. Der Kennwert „CO2-Äquivalent“ ist nur dann aussagekräftig, wenn er auf die gesamte Versorgungskette der betrachteten Produkte und Dienstleistungen angewendet wird.

Eine ähnliche Überlegung betrifft den Begriff der „Kosten“, der im Allgemeinen der einzige Leistungskennwert ist, den die Verbraucher erhalten. Wenn man nur den Kaufpreis berücksichtigt, dann besteht das grosse Risiko, dass die Verbraucher von den ökologischeren Lösungen abgeschreckt werden. So ist z. B. der Kauf einer Energiesparlampe teurer als der Kauf einer Halogenlampe. Und ein Elektroauto kostet mehr als ein Benzinfahrzeug einer vergleichbaren Kategorie. In Wirklichkeit aber kann sich die Energiesparlampe – genauso wie das Elektroauto – über ihre gesamte Lebensdauer gesehen angesichts der geringeren Betriebskosten sehr kostengünstig erweisen [→ F44]. Darum sollte ein anderer Kennwert – die „Gesamtbetriebskosten“ – als Kaufgrundlage dienen und entsprechende Kommunikationsanstrengungen unternommen werden.

Quellen

Borel & Favrat (2005)
& (). Thermodynamique et énergétique. PPUR presses polytechniques et universitaires romandes.
Favrat, Maréchal & Epelly (2008)
, & (). The challenge of introducing an exergy indicator in a local law on energy. Energy, 33(2). 130–136.
Favrat (2006)
(). Services énergétiques du futur. GWA (Gas, Wasser, Abwasser), 86(5). 383–388.
Favrat (2006)
(). Efficacité énergétique, moteur de l’évolution technologique. Les cahiers de l'énergie, 64. 30–32.
Haldi, P-A and Favrat, Daniel (2006)
(). Methodological aspects of the definition of a 2 kW society. Energy, 31(15). 3159–3170.
Jochem, Rudolf von Rohr & others (2004)
, & (). Steps towards a sustainable development: A white book for R&D of energy-efficient technologies. Novatlantis.
Marechal, Favrat & Jochem (2005)
, & (). Energy in the perspective of the sustainable development: The 2000 W society challenge. Resources, Conservation and recycling, 44(3). 245–262.
Office fédéral de l'énergie (OFEN) (2019)
(). Statistique globale de l’énergie 2018. OFEN.
Swiss Centre for Life Cycle inventories (2019)
(). Ecoinvent. [Online]. Available at: www.ecoinvent.org. Retrieved from www.ecoinvent.org/database7
Zurück
Weiter