Könnte die Kernenergie mit zukünftigen Reaktortypen wieder auf die Bühne zurückkehren?

Seit etwa 20 Jahren werden neue Kernspaltungs-Reaktortypen der sogenannten „4. Generation“ entwickelt. Wenn sie ihre Versprechen in Bezug auf Sicherheit, Effizienz und Verringerung der radioaktiven Abfälle halten, könnten sie um die Jahre 2030-2050 eine Rolle spielen. Die Kernfusion kommt für die derzeitige Energiewende nicht in Betracht, weil ihre kommerzielle Nutzung nicht vor 2100 erwartet wird.

Das Prinzip der Kernspaltungsreaktoren besteht in der Spaltung des Kerns eines schweren Atoms (Uran, Plutonium) in zwei leichtere Kerne, die man als „Spaltprodukte“ bezeichnet, und die einen Grossteil der hochradioaktiven Abfälle bilden. Bei der „Spaltung“ des Kerns entsteht eine grosse Menge Wärme, die man zur Erhitzung von Wasser bzw. Dampferzeugung nutzen kann. Dieser Dampf dient dann – genau wie in anderen thermischen Kraftwerken (Kohle, Gas usw.) – zum Antrieb stromproduzierender Turbinen.

Die ersten kommerziellen Kernreaktoren, der sogenannten 1. Generation, wurden zwischen 1950 und 1970 in Betrieb genommen. Kein einziger von ihnen ist heute noch in Funktion. Ab 1969 wurden sie von der 2. Reaktorgeneration abgelöst. Fast alle 436 im Jahr 2015 in Betrieb stehenden industriellen Atomreaktoren, einschliesslich den 5 Schweizer Reaktoren, gehören dieser 2. Generation an (sowie fast alle 61 Reaktoren die derzeit weltweit gebaut werden). Die 3. Generation steht für Reaktoren, die ab den 1990er Jahren entwickelt und auf Grundlage der Betriebserfahrungen der vorherigen Generationen verbessert wurden. Weltweit ist derzeit ein einziger Reaktor der 3. Generation in Betrieb (in Japan) und etwa ein Dutzend sind im Bau.

Die 1., 2. und 3. Generation haben zu schrittweisen Verbesserungen der Technologie der Kernspaltungsreaktoren geführt. Die 4. Generation hingegen stellt einen technologischen Schnitt dar, der mehrere wichtige Verbesserungen mit sich bringen könnte:

  • Eine deutlich höhere Energieeffizienz. Gewisse Reaktoren der 4. Generation könnten 50 bis 80% der im Uran enthaltenen Energie verwerten, während traditionelle Kernspaltungstechnologien nicht einmal 1% nutzen. Die Nuklearbrennstoffreserven würden deutlich länger reichen, und zwar mehrere tausend Jahre statt 60 Jahre mit den derzeitigen Reaktoren.
  • Eine deutliche Reduzierung der hochradioaktiven Abfälle. Aufgrund der Möglichkeit, einen Teil der Abfälle unserer derzeitigen Kraftwerke überdies als Brennstoff zu nutzen, könnten diese in schwachund mittelradioaktive Abfälle verwandelt werden und gleichzeitig zusätzlichen Strom produzieren.
  • Eine höhere Sicherheit im Vergleich zu den gegenwärtigen Reaktoren durch die systematischere Nutzung von passiven Sicherheitsvorrichtungen, die bei Vorfällen einen späteren menschlichen Eingriff erfordern. Diese Vorrichtungen verringern somit die damit verbundenen Risiken.
  • Eine bessere wirtschaftliche Rentabilität – wobei dieser Punkt heftig umstritten ist.

Die ersten kommerziellen Reaktoren der 4. Generation könnten gegen 2030 gebaut werden. Auf die Frage, ob die ins Auge gefassten Technologien ihre Versprechen halten können, gibt es momentan keine klare Antwort. Die Schweiz ist gemeinsam mit zwölf weiteren Ländern Teil des „Generation IV International Forum“, das die Entwicklung dieser Technologie koordiniert. Für eine eventuelle Verwendung dieser Technologie in der Schweiz müsste zuerst der Entscheid zum Verzicht auf den Bau neuer Kernspaltungskraftwerke rückgängig gemacht werden.

Die Kernfusion beruht auf einem ganz anderen Prinzip als die Spaltung. Dort geht es darum, leichte Atome (wie z. B. Wasserstoff) zu schwereren Atomen zu verschmelzen („fusionieren“). Im Zuge dieses Prozesses wird – genauso wie bei der Kernspaltung – die entstehende Wärme zur Stromerzeugung genutzt. Angesichts der noch zu bewältigenden wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen für die Beherrschung des Kernfusionsprozesses scheint es sehr unwahrscheinlich, dass es vor der Jahrhundertwende zu industriellen Anwendungen kommt.

Quellen

Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives (CEA) (2016)
(). Les réacteurs nucléaires - d’une génération de réacteur nucléaire à l’autre. [Online]. Available at: http://www.cea.fr/comprendre/Pages/energies/nucleaire/fonctionnement-reacteur-nucleaire.aspx?Type=Chapitre&numero=3.
Kazimi, Mujid and Moniz, Ernest J and Forsberg, Charles W and Ansolabehere, S and Deutch, JM and Driscoll, MJ and Golay, MW and Kadak, AC and Parsons, JE and Regalbuto, M et al. (2011)
(). The future of the nuclear fuel cycle - An interdisciplinary MIT study. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, MA.
Nuclear Energy Agency (OECD) (2014)
(). Technology roadmap update for generation IV nuclear energy systems.
Tani, Haldi & Favrat (2010)
, & (). Exergy-based comparison of the nuclear fuel cycles of light water and generation IV reactors.
World Nuclear Association (2019)
(). Advanced nuclear power reactors - generation III+ nuclear reactors. [Online]. Available at: www.world-nuclear.org/information-library/nuclear-fuel-cycle/nuclear-power-reactors/advanced-nuclear-power-reactors.aspx.
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