Können die erneuerbaren Energien die Kernkraftwerke ersetzen?

Im Prinzip ja. Die neuen erneuerbaren Energiequellen in der Schweiz verfügen über ein genügendes Potenzial zum Ersatz unserer Kernkraftwerke. Hierfür muss aber eine saisonale Speicherung für Strom aus erneuerbaren Energiequellen entwickelt werden und die Elektro-Direktheizungen und elektrischen Boiler müssen durch Lösungen ersetzt werden, die auf der erneuerbaren Erzeugung von Wärme beruhen.

Die fünf Reaktoren der vier Schweizer Kernkraftwerke produzieren im Mittel 25 TWh Strom pro Jahr. Frappierender Zufall: Das kombinierte Potenzial der neuen erneuerbaren Energien für die Erzeugung von grünem Strom wird auf 24 TWh geschätzt! Wenn man also nur die Jahresbilanz betrachtet, könnte Strom aus erneuerbaren Energiequellen praktisch die gesamte Produktion unserer Kernkraftwerke ersetzen.

Die Atomstromproduktion ist über das Jahr gesehen sehr konstant (sogenannter Bandstrom), während das Produktionspotenzial des erneuerbaren grünen Stroms einerseits im Tagesverlauf schwankt und andererseits im Sommer viel höher ist als im Winter. Dies ist auf die kombinierte Zufuhr von Strom aus der Photovoltaik und Laufwasserkraftwerken zurückzuführen, die im Sommer ungefähr 2,5 mal höher ist als im Winter [→ F11]. Die Tagesspeicherung – insbesondere mittels Pumpspeicherung – ermöglicht es, die Produktionskurven des neuen erneuerbaren Stroms im Tagesgang zu glätten – die saisonalen Unterschiede sind aber schwieriger auszugleichen.

Eine Option könnte darin bestehen, im Sommer unseren Überschuss an grünem Strom zu exportieren und im Winter (z.B.) Strom aus Windkraft zu importieren. So wäre unsere erneuerbare Bilanz über das Jahr gesehen ausgeglichen. Diese Lösung wird im Szenario „100 Prozent erneuerbar“ befürwortet [→ F87]. Wenn man aber unsere Kernkraftwerke ausschliesslich durch in der Schweiz produzierte erneuerbare Energie ersetzen möchte, dann ist es notwendig, den sommerlichen Stromüberschuss in die Winterhalbzeit zu übertragen. Anders gesagt: Es müsste uns gelingen, etwa 5 TW h Strom während eines Zeitraums von 6 Monaten zu speichern. Das ist eine enorme Herausforderung, für die wir noch keine Lösung gefunden haben [→ F74].

Warum aber sollte man sich darauf begrenzen, den Atomstrom nur durch erneuerbaren Strom zu ersetzen? In den Fällen, in denen der Atomstrom heute nur zur Wärmeproduktion dient, ist es schon heute möglich, ihn durch Wärme aus erneuerbaren Quellen zu ersetzen. Derzeit werden fast 6 TWh Strom in Boilern und Elektro-Direktheizungen (Widerstandsheizungen) verbraucht, 2/3 davon im Zeitraum Oktober-April. Das noch ungenutzte Potenzial der Holz-Biomasse (5 TWh) [→ F54] und der Nutzung der Umgebungswärme mittels Wärmepumpen (7 TWh) [→ F59] könnten diesen Winter-Verbrauch gut ersetzen.

Arithmetisch gesprochen wäre es also möglich, die Kernkraftwerke durch neue erneuerbare Energiequellen zu ersetzen. Man sollte aber ob dieser Rechnung zwei Fakten nicht ausser Acht lassen:

Erstens ist der Atomausstieg nicht die einzige Herausforderung, vor der die Schweiz steht. Die erneuerbaren Energien müssen nicht nur einfach den Atomstrom ersetzen. Sie müssen insbesondere zur Senkung der CO2-Intensität unseres Energiemixes beitragen, was bedeutet, dass sie nach und nach unsere fossilen Energien ersetzen.

Zweitens ist der Ersatz der Kernkraftwerke durch neue erneuerbare Energien nur möglich, wenn diese Energieformen auf eine genügend grosse gesellschaftliche Akzeptanz stossen, wenn die benötigten Fachkräfte gefunden werden, wenn angepasste Marktregeln erarbeitet werden, damit diese Energieträger konkurrenzfähig sind und wenn die Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende teilnehmen, indem sie sich für diese Energieformen entscheiden [→ F98].

Quellen

Kemmler, Spillmann & Koziel (2018)
, & (). Ex-post-analyse des schweizerischen energieverbrauchs 2000-2017 nach bestimmungsfaktoren. Office fédéral de l'énergie (OFEN).
Office fédéral de l'énergie (OFEN) (2018)
(). Statistique suisse de l’électricité 2018. OFEN.
Office fédéral de l'énergie (OFEN) (2019)
(). Statistique globale de l’énergie 2018. OFEN.
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