Ist die 2000-Watt-Gesellschaft ein Ziel der Energiewende?

Die 2000-Watt-Gesellschaft beschreibt ein langfristiges Ziel bzw. ein Energieverbrauchsideal, das jedes Land anstreben sollte, um eine nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene zu garantieren. In dieser Eigenschaft trägt dieser Begriff zur Förderung der Energiewende bei. Der Wert von 2000 W hat also informativen Charakter und stellt mitnichten ein verpflichtendes Ziel für die Schweiz dar.

Ende der 1990er Jahre lancierte der ETH-Rat die Idee einer energiesparenden Gesellschaft – der „2000-Watt-Gesellschaft“ – um so einen Beitrag zur Ausarbeitung einer Umweltstrategie für das 21. Jahrhundert zu leisten. Mit „2000-Watt-Gesellschaft“ wurde ein auffallender Begriff gewählt, der auf den ersten Blick nicht besonders leicht erfassbar ist, weil er nur eine Leistungseinheit – das Watt (W) – verwendet, um den Energieverbrauch zu beschreiben, der normalerweise in Kilowattstunden (kWh) ausgedrückt wird. Die Zahl von 2‘000 Watt entspricht – etwas geläufiger formuliert – einem durchschnittlichen Energieverbrauch von 17‘500 kWh pro Person und Jahr ^[2000 W x 24 h x 365 Tage = 17 520 000 Wh ≈ 17 500 kWh]. Warum 2000 W? Ganz einfach deswegen, weil dieser Wert dem Durchschnitt des weltweiten Primärenergieverbrauchs am Ende des letzten Jahrhunderts entspricht. Das Konzept der „2000-Watt- Gesellschaft“ basiert auf dem Prinzip, dass dieses Verbrauchsniveau eine nachhaltige Entwicklung auf planetarer Ebene ermöglichen würde.

Wenn diese 2000 W durch fossile Energien abgedeckt werden, dann wird diese Gesellschaft natürlich trotzdem nicht nachhaltig sein, weil sich diese Rohstoffe schlussendlich erschöpfen und ihre Nutzung Klimaveränderungen hervorruft. Es genügt also nicht, ein quantitatives Ziel für den Pro-Kopf-Verbrauch an Primärenergie festzulegen, es braucht auch ein Ziel über die Art der verwendeten Energieträger. Die Definition der 2000-Watt-Gesellschaft umfasst daher auch eine Grenze für Treibhausgase, die auf eine Tonne CO2 pro Person und Jahr festgelegt wurde. Diese Grenze bedeutet, dass nur etwa ein Viertel der verbrauchten Primärenergie weiter fossilen Ursprungs sein könnte, die restlichen drei Viertel müssen aus erneuerbaren Energiequellen stammen.

Man kann sich natürlich fragen, mit welcher Berechtigung dieser „genehmigte“ Anteil nicht-erneuerbare Energiequellen in eine Definition einer energetisch nachhaltigen Gesellschaft Aufnahme findet: Warum ein Viertel anstatt z. B. ein Drittel oder ein Zehntel? Umgekehrt kann man sich auch fragen, ob es angebracht ist, den Anteil der erneuerbaren Energie zu deckeln, weil sie ja eben genau „erneuerbar“ sind (d. h. eigentlich im Rahmen des menschlichen Zeithorizonts unerschöpflich) und im Prinzip keine hohen Umweltbelastungen hervorrufen.

Ausserdem ist es aus methodologischen Gründen sehr schwierig festzustellen, wie weit die Schweiz heute noch von einer 2000-Watt-Gesellschaft entfernt ist. Es ist zwar einfach, unseren Endenergieverbrauch zu messen (die Energie, die wir in Form von Strom, Benzin, Gas, Pellets usw. kaufen). Die Schätzung des Primärenergieverbrauchs einer Person – auf die sich das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft bezieht – ist aber viel komplexer. Gemäss der Definition im Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft entspricht diese Primärenergie der Summe der gesamten Rohenergie (so wie sie in der Natur vorkommt: Erdöl, Kohle, Holz usw.), die in den verschiedenen Etappen der Produktions- und Verteilungskette jener Produkte verbraucht wurde, die wir nutzen (Auto, Haus, Elektrogeräte usw.), und der Güter, die wir konsumieren (Lebensmittel, Strom, Wasser usw.).

Diese methodologische Schwierigkeit, verbunden mit der Komplexität bezüglich der Definition von grauer Energie [→ F93] führt dazu, dass die mit dem Konzept der „2000-Watt-Gesellschaft“ in Verbindung gebrachten Schätzungen des Primärenergiebedarfs (4'600 bis 8'300 Watt) und der CO2-Emissionen pro Kopf (5 bis 12 Tonnen) in der Schweiz stark voneinander abweichen. Es ist also Vorsicht angebracht, wenn man von Primärenergie spricht. Es gilt, das Konzept der „2000-Watt-Gesellschaft“ als ein langfristig zu erreichendes Idealziel zu betrachten – zur Förderung von Energieeinsparungen und dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Bundesrat hat in seiner „Strategie Nachhaltige Entwicklung“ die 2000-Watt-Gesellschaft als langfristig anzustrebendes Ziel (bis zum Jahr 2100) verankert. Mehrere Städte und Kantone lassen sich in ihrer Energiepolitik davon inspirieren und mittlerweile gibt es „2000-Watt“-Zertifikate für Gemeinden und Areale.

Quellen

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