Ist der Stromimport nicht die einfachste und wirtschaftlichste Lösung?

Nein, diese Idee ist nur vermeintlich gut. Der Import von Strom aus unseren Nachbarländern scheint eine einfache und vorteilhafte Lösung zu sein – zumindest kurzfristig gesehen. Unsere langfristige Energiestrategie auf den Import aufzubauen wäre aber nichtsdestotrotz sehr riskant: Nicht nur in Bezug auf unsere Versorgungssicherheit, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht.

Die Strompreise auf dem europäischen Markt sind derzeit sehr niedrig, insbesondere aufgrund einer bedeutenden Produktionsüberkapazität: Das Angebot liegt über der Nachfrage. So verfügt Deutschland alleine über eine Produktionskapazität in der Höhe von 80 GW , während seine Bedarfsspitzen bei nur 70 GW liegen. Diese Überkapazität von 10 GW in Deutschland – im Wesentlichen abgeschaltete Gaskraftwerke – entspricht den Bedarfsspitzen der Schweiz.

Anstatt unsere Kernkraftwerke durch Gaskraftwerke oder Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie zu ersetzen – deren Produktionskosten weit über den derzeitigen Marktpreisen liegen – könnte die Schweiz auch einfach von dieser in Europa bestehenden Produktionsüberkapazität profitieren, und sehr billigen Strom importieren. Dies insbesondere, weil die Strompreise wahrscheinlich noch einige Jahre tief bleiben werden: Bei langfristigen Versorgungsverträgen werden heute um die 4 Rappen pro kWh für 2020 ausgehandelt, gegenüber 5 bis 7 Rappen im Jahr 2014. Diese Schlussfolgerung ist aber so nicht haltbar und zwar aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen.

Zunächst können die begrenzten Kapazitäten unseres Übertragungsnetzes im Fall einer starken Nachfrage zu Überlastungen an den Grenzen zu Frankreich und Deutschland führen. Das wirkt sich nicht nur auf die Versorgungssicherheit aus, sondern – wegen der daraus resultierenden „Staugebühren“ – auch auf den Preis, was zu bedeutenden Preisaufschlägen auf die Importe in Zeiten starker Nachfrage führen würde. Dann gilt es, auch die Entwicklung der Gesamtsituation zu berücksichtigen. Die Spannungen in Bezug auf natürliche Rohstoffe nehmen tendenziell zu, insbesondere mit dem Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte wie China und Indien. Der weltweite Energiebedarf steigt massiv. In diesem Umfeld ist unsere Versorgungssicherheit von wachsender Bedeutung [→ F21]. Der Import von Strom, insbesondere aus nicht erneuerbaren Energiequellen (Kohle, Erdgas, Kernbrennstoff), würde unsere Versorgungssicherheit schwächen, weil diese Importe dann selbst von der Versorgungssicherheit der Länder abhängen würden, die uns diesen Strom liefern.

Wären Investitionen in Kraftwerke im Ausland eine passende Lösung? Genau diese Strategie verfolgt seit ein paar Jahren die Mehrheit der grossen Schweizer Elektrizitätsunternehmen. Sie haben Anteile an Gasoder Kohlekraftwerken sowie Wasserkraftwerken, Solar- und Windparks im Ausland gekauft. Einige dieser Investitionen haben sich als gefährlich in Bezug auf die Rentabilität erwiesen und haben zuweilen heftige Polemik ausgelöst (insbesondere mit Bezug auf Kohlekraftwerke). Die kumulierte Leistung der Kraftwerke, die die Unternehmen Axpo, Alpiq und BKW im Ausland besitzen, belief sich Ende 2011 auf ca. 7 GW , was nicht sehr viel weniger ist als die ca. 10 GW Leistung ihrer Kraftwerke in der Schweiz.

Es ist nicht sicher, dass die Produktion dieser ausländischen Kraftwerke im Falle einer Stromknappheit auf europäischer Ebene wirklich der Schweiz zur Verfügung gestellt wird – auch wenn es entsprechende Versorgungsverträge gibt. Der Netzbetreiber eines Landes wird immer die nationale Versorgung über den Export stellen. Sie kann sich immer auf die Vertragsklausel der höheren Gewalt und ihre Verpflichtung zur Sicherstellung der Stabilität ihres eigenen Netzes berufen [→ F72]. Eine solche Schliessung der Grenzen ist kein theoretischer Fall, sondern ist im Jahr 2003 in Frankreich bereits eingetreten: Die Hitze im August 2003 hatte die Produktionskapazität der französischen Kraftwerke stark eingeschränkt. Aus Angst um seine eigene Versorgung hat Frankreich augenblicklich seine Exporte nach Spanien massiv reduziert.

Quellen

Office fédéral de l'énergie (OFEN) (2018)
(). Statistique suisse de l’électricité 2018. OFEN.
Office fédéral de l'énergie (OFEN) (2019)
(). Statistique globale de l’énergie 2018. OFEN.
Pauli, Ernst (2016)
(). L’approvisionnement en électricité en Suisse - Un coup d’œil sur les activités commerciales des grandes entreprises énergétiques suisses. Horizons et débats.
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